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„Win-win“ - wie Mayen-Koblenz durch Partizipation Betroffene zu Beteiligten macht

12. Mai 2020

Mayen-Koblenz
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Partizipations-Workshops im Jobcenter Mayen-Koblenz
  • Schwerpunktthema Coaching und Beratung, Digitalisierung
  • Zielgruppe Geringqualifizierte

Eigentlich ist es ein bewährtes Prozedere: Während der Beratungsgespräche versuchen die Jobcenter-Mitarbeitenden herauszufinden, welche Unterstützung der Leistungsbezieher oder die Leistungsbezieherin benötigt oder welche Maßnahme ihm oder ihr helfen könnte, um wieder in Arbeit zu kommen. „Wir haben die Projekte herausgesucht, von denen wir meinten, dass sie zu den Leistungsberechtigten passen würden“, sagt Christoph Kretschmer, Bereichsleiter Projekte im Jobcenter Mayen-Koblenz. Die Auswahl der Angebote ist im Landkreis Mayen-Koblenz groß. „Als die Jobcenter 2005 gegründet wurden, haben wir schnell entschieden, dass wir nah an den Leistungsberechtigten arbeiten möchten. Also haben wir uns schon früh mit Trägern in der Region zusammengeschlossen, damit wir unseren Klientinnen und Klienten vielfältige Angebote machen können.“

Doch wie sicher kann man sich sein, tatsächlich die passende Unterstützung für die Leistungsberechtigten zu finden? Eine Frage, die die Jobcenter-Mitarbeitenden umtrieb und die schließlich zu einem Umdenken führte. Denn: Welche Unterstützung sie brauchen, wüssten Leistungsberechtigte selbst am besten, sagt Kretschmer. „Unsere Vision ist, dass die Leistungsbeziehenden selbst entscheiden, welche Maßnahme ihnen nützt und dann bewerben sie sich darauf. “

Dafür wollte das Jobcenter Mayen-Koblenz zunächst genau ermitteln, welche Bedarfe überhaupt bestehen. So kamen die Mitarbeitenden auf die Idee, einen Partizipations-Workshop zu veranstalten. Ihre Intention: Mit den Leistungsberechtigten in einen direkten Dialog treten, herausfinden, welche der vielen Maßnahme-Angebote sie wirklich brauchen und in Anspruch nehmen wollen. Und vielleicht noch wichtiger: welche Angebote im Portfolio noch fehlen.

Viele Interessierte

Die Teilnehmenden für den Workshop waren schnell gefunden: Während der Beratungsgespräche wurden die Leistungsberechtigten gefragt, ob sie Interesse an einem solchen Workshop hätten. Die Mitarbeitenden hofften, 15 bis 20 Interessentinnen und Interessenten für ihr Projekt zu finden. „Am Ende hatten wir sogar mehr als 20 Leute, die teilnehmen wollten, aus ihnen haben wir dann ausgewählt“, so Kretschmer. Wichtig sei dabei gewesen, einen repräsentativen Querschnitt zu finden. Unter den Workshop-Teilnehmenden waren schließlich Alleinerziehende, Jugendliche, Menschen über 50, Geflüchtete, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen, Menschen mittleren Alters und genauso viele Männer wie Frauen. Außerdem begleiteten drei Jobcenter-Mitarbeitende und eine externe Moderatorin den Workshop.

Am 19. Dezember 2019 war es dann soweit: Von 10 bis 16 Uhr erarbeiteten die Workshop-Teilnehmenden ihre Wünsche und Erwartungen an das Jobcenter. Die Ideen, die von den Leistungsberechtigten kamen, seien teilweise erwartbar gewesen, teilweise aber auch sehr überraschend, so Kretschmer.

Prioritäten verschieben

Erwartbar war zum Beispiel die Idee der Online-Fortbildungen: „Wir sind der zweitgrößte Flächenlandkreis in Rheinland-Pfalz. Das heißt, unsere Klientinnen und Klienten haben oft sehr weite Wege“, erklärt der Projektleiter. Somit hätten er und seine Kolleginnen und Kollegen auch schon überlegt, Angebote zu digitalisieren. Dadurch, dass nun auch die Leistungsberechtigten im Workshop darauf drängten, landet das Thema jetzt sehr weit oben auf der To-do-Liste des Jobcenters.

Gerechnet habe man auch damit, dass jüngere und ältere Workshop-Teilnehmende unterschiedliche Präferenzen haben. Aber wie diese gewichtet sind, war für die Jobcenter-Mitarbeitenden dann doch etwas unerwartet: So wünschten sich vor allem die älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Job mit der Option auch im Homeoffice arbeiten zu können. „Doch dafür fehlt ihnen meist die Expertise“, so Kretschmer. „Sie regten also an, wir sollten mehr Schulungen diesbezüglich anbieten.“ Die Jüngeren kritisierten wiederum, sich stets bei potenziellen Arbeitgebern bewerben zu müssen. Als Alternative schlugen sie vor, dass sich Arbeitgeber doch auch mal bei ihnen vorstellen könnten. „Ein Verfahren, dass wir bei Menschen mit Behinderungen tatsächlich schon praktizieren“, sagt Kretschmer. Dort gehe es darum, dass potenzielle Arbeitgeber eingeladen werden, um sich und ihren Betrieb vorzustellen und dabei Bewerberinnen und Bewerber kennenzulernen. In Bezug auf Menschen mit Behinderungen habe man bewusst auf ein persönliches Kennenlernen gesetzt, um Unsicherheiten und Vorbehalte bei Arbeitgebern abzubauen. „So entwickeln sich persönliche Sympathien. Bei Vorlage einer schriftlichen Bewerbung passiert so etwas seltener.“ Da ein solch persönliches Kennenlernen auch anderen Personengruppen die Jobsuche erleichtern würde, könnte diese Methode im Jobcenter Mayen-Koblenz nun ausgeweitet werden.

Jobcenter-App und Schuldnerberatung

Ebenfalls interessant für die Jobcenter-Mitarbeitenden sei gewesen, dass sich die Leistungsberechtigten eine Jobcenter-App wünschten. Eine App, in der jeder Leistungsbeziehende ein eigenes Profil hat, die passende Jobangebote und Maßnahmen anzeigt, die Alarm schlägt, bevor die nächste Antragsfrist abläuft und über die Online-Anträge gestellt werden können. „So eine App hatten wir auch schon auf dem Schirm“, sagt Kretschmer. Der Workshop habe deutlich gemacht, wie sehr die App von den Leistungsberechtigten gewünscht wird. Ein guter Grund also, die App ebenfalls ganz oben auf die Prioritäten-Liste zu setzen.

Ein weiteres Thema, das den Leistungsbeziehenden offenkundig wichtig war: Sie wünschen sich mehr Unterstützung in Geldfragen. Kretschmer erklärt: „Einige Klientinnen und Klienten hätten Schulden und wüssten oft nicht, wie sie damit umgehen und wie sie sie abbezahlen sollen. Deswegen seien Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater sehr gefragt, aber oft hoffnungslos überlastet.“ Ein Bereich also, wo im kommunalen Jobcenter personell nachgebessert werden könnte.

Weitere Workshops geplant

Auch wenn am Ende vielleicht nicht alle Wünsche der Leistungsberechtigten erfüllt werden können: Für das Jobcenter Mayen-Koblenz sei der erste Partizipations-Workshop ein voller Erfolg gewesen, sagt Kretschmer. Deswegen sind bereits zwei weitere Workshops geplant. Sie sollen sich am Ablauf des ersten Workshops orientieren, aber: „Sie sollen an anderen Standorten stattfinden, damit wir noch weitere Eindrücke sammeln können und so einen repräsentativen Eindruck der Bedarfe unserer Leistungsberechtigten bekommen“, erklärt Kretschmer. Darüber hinaus plant das Jobcenter, fortwährend gemeinsame Workshops mit den Leistungsberechtigten anzubieten. Es sei nicht nur wichtig, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Feedback auf ihre Vorschläge zu geben und zu überlegen, wie sich die Ideen umsetzen lassen, sagt Kretschmer. Sondern es müsse auch um eine kontinuierliche Begleitung gehen, um, die in den Workshops entstandenen Maßnahmen weiterzuentwickeln und an die Bedürfnisse der Leistungsberechtigten anzupassen. Und noch etwas ist dem Projektleiter wichtig: Die Teilnehmenden sollen nicht immer die gleichen bleiben. „Uns schwebt eher ein offener Kreis vor.“ Denkbar sei auch, ehemalige Leistungsberechtigte zu einem Workshop einzuladen. „Sie können dann berichten, welche Maßnahme ihnen bei ihrer Arbeitssuche etwas gebracht hat und was eher weniger hilfreich war.“

Christoph Kretschmer ist so überzeugt von dem Projekt, dass er es auch anderen Jobcentern in der Bundesrepublik ans Herz legt. „Ich denke, dass es sehr wichtig ist, mit den Leistungsberechtigten in den Dialog zu treten, um herauszufinden, was sie wirklich brauchen“, sagt der Projektleiter. Mit dem Partizipations-Workshop ist der Anfang dafür jedenfalls gemacht.

Mehr interessante Informationen zur Schaffung von Teilhabe am Arbeitsmarkt finden Sie in unserem Themendossier Sozialer Arbeitsmarkt.