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Jobcenter Arbeitplus Bielefeld

29. November 2017

Hêvî

Bielefeld Hevi Logo alle
  • Schwerpunktthema Soziale Teilhabe
  • Zielgruppe Menschen mit Migrationsgeschichte

Hêvî ist das kurdisch-arabische Wort für „Hoffnung“. Der Begriff benennt ein Modellprojekt für geflüchtete Familien, das 600 erwerbsfähige Personen und deren Angehörige dabei unterstützt, in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt anzukommen.

1. Oktober 2016 bis Ende 2018.

In Bielefeld gibt es bereits seit einigen Jahren Migrantinnen und Migranten mit Fluchterfahrung und damit eine wachsende Gruppe der Langzeitleistungsbeziehenden im SGB II. Besonders irakisch-jesidische Geflüchtete haben sich in den vergangenen Jahren hier niedergelassen, aber nur wenig Zugang zum regionalen Arbeitsmarkt gefunden. Allein im Zeitraum von Juni 2016 bis Juni 2017 erhöhte sich die Anzahl der Mitglieder in den Bedarfsgemeinschaften mit irakischer Staatsangehörigkeit von 3002 Personen auf 3973 Personen, das sind 32,3 Prozent.
Diese Menschen befinden sich in einer verfestigten prekären Situation, die der jetzigen Generation der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Teilhabechancen verwehrt und ihren Kindern wenig Hoffnung auf ein gleichberechtigtes Leben in der deutschen Gesellschaft lässt. Der überwiegende Anteil der Projektteilnehmer ist in ländlichen Gebieten aufgewachsen. Die Teilhabechancen dieser Geflüchteten sind besonders eingeschränkt, da sie vielfach keinen Schulbesuch erlebt haben, der mit der Bildung in Deutschland vergleichbar wäre. Dabei sind geschlechtsspezifische Unterschiede zu verzeichnen. Bei dem überwiegenden Anteil der Frauen liegt eine Form des primären Analphabetismus vor. Sie waren i.d.R. von einem Schulbesuch gänzlich ausgeschlossen oder durften nur vier Jahre in der Schule lernen. Daher muss der überwiegende Anteil der Frauen zunächst alphabetisiert werden, um an einer Sprachförderung teilnehmen zu können. Männer sind von dieser Form des Analphabetismus weniger betroffen, zeigen aber häufig Lernblockaden. Daraus resultierend sind die Zugänge in erfolgreiche Integrationsprozesse zunächst blockiert. Zudem wirken auch kulturelle Hemmnisse aus der ländlichen arabischen Gesellschaft erschwerend.
Neben diesen sprachlichen und kulturellen Barrieren der Zielgruppe ist ein zweiter zentraler Hintergrundaspekt die enorm hohe Zahl an Traumatisierungen und deren Folgen sowie ihre gleichzeitig unzureichende Unterstützung durch Angebote zur Traumabewältigung. Die Auseinandersetzung mit psychischen Problemen aufgrund des Erfahrens von Folter, Gewalt, Verlust und Zerstörung, des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht ist häufig tabuisiert. Menschen, die mit den Folgen unbehandelter Traumatisierungen leben müssen, sind jedoch meistens nicht in der Lage, den Anforderungen des Arbeitsmarktes zu genügen.

Mit über 333.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Bielefeld die achtgrößte der kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen, die größte Stadt der Region Ostwestfalen-Lippe und deren wirtschaftliches Zentrum. Traditionsfirmen von Weltruf, ein guter Branchenmix vorwiegend mittelständisch ausgerichteter Unternehmen, eine hohe Dienstleistungskultur und eine gute Verkehrsinfrastruktur bestimmen die Standortqualität Bielefelds ebenso wie die Hochschullandschaft.
Die Beschäftigungssituation entwickelte sich auch im vergangenen Jahr gut − mit einem Zuwachs an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort um knapp drei Prozent. Im April 2017 waren 26.983 erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Jobcenter Bielefeld registriert, davon waren 11,4 Prozent Geflüchtete. Diese Gruppe ist somit ein fester Bestandteil des dortigen Jobcenter-Kundenspektrums geworden.

Wer nach Deutschland kommt, steht vor vielen Herausforderungen: Wie finde ich eine Wohnung? Wie finde ich eine Arbeitsstelle? Wie begleite ich meine Kinder während ihrer Schulzeit? Wie finde ich eine Ärztin, einen Arzt? Das Projekt Hêvî zielt darauf ab, konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In kleinen Schritten sollen Erfolge erzielt werden, die die Zielgruppe motivieren, neue Wege zu gehen und für sich und die eigene Familie Verbesserungen über Bildung und Arbeit zu erreichen.

Die Ziele im Einzelnen:
• Bildungsinteresse für sich und die Familie wecken
• Entwicklung eines mehrdimensionalen Beratungs- und Fördersystems für traumatisierte Geflüchtete im Alter von 25 bis 65 Jahren
• Die Folgen von traumatischen Erlebnissen mildern, um Lern- und Entwicklungsprozesse zu fördern
• Wissensvermittlung und Aufklärung durch Veranstaltungen zu den Themen Berufsbilder, Vorteile einer Arbeitsaufnahme, Gesundheit und Familie
• Jährlich werden 25 Erwachsene, die vorher mindestens zwei Jahre arbeitslos waren, in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt oder nehmen an einer abschlussorientierten Fort- und Weiterbildung teil
• Verbesserung der sprachlichen Kompetenzen
• Stärkung der Selbstwirksamkeit

Hêvî ist ein Modellprojekt für geflüchtete Familien, die seit mehreren Jahren in Bielefeld leben und seit mindestens zwei Jahren auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das Projekt steht allen Geflüchteten im Langzeitbezug offen. Am Projekt nehmen zu 90 Prozent Menschen teil, die aus Syrien und insbesondere aus dem Irak geflohen sind und die bisher kaum Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden haben. Eine größere Gruppe dieser Menschen gehört der Glaubensgemeinschaft der Jesiden an. Die restlichen 10 Prozent der Teilnehmenden verteilen sich auf mehrere Nationalitäten. 

Die Angebote des Projekts Hêvî sind auf Eltern ausgerichtet, die in großen Familien leben, unter Umständen traumatisiert und zu einem großen Teil bildungsfern sind sowie bei denen kulturelle und sprachliche Barrieren bei der Integration bestehen. Es werden geschlechtsspezifische Angebote unterbreitet, die Frauen und Männer stärken und sie bei der Integration in die Aufnahmegesellschaft und in den Arbeitsmarkt unterstützen sollen.

Unterstützt werden Frauen bei der Suche nach einem Beruf, einer Arbeitsstelle, einer Fortbildung und nach einem Sprachkurs. Sie erhalten die Möglichkeit, in Einzelberatungen über vergangene und akute belastende Erfahrungen zu sprechen und Wünsche nach Neuorientierung zu formulieren. 

Männer erhalten Hilfen bei der Suche nach einer Arbeitsstelle, einer Fortbildung und nach einem Sprachkurs. Sie bekommen darüber hinaus die Möglichkeit zur Entlastung durch ein (Familien-)Coaching. Dabei werden langfristige Perspektiven erörtert und die familiäre Situation und Rollenverteilung thematisiert.

Beteiligt an Hêvî sind das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld, die Stiftungen Bethel proWerk, die Regionale Personalentwicklungsgesellschaft mbH (REGE) und der Verein Psychologische Frauenberatung e.V. Finanziert wird das Projekt durch das Land Nordrhein-Westfalen und den Europäischen Sozialfonds.

Das Projekt befasst sich mit zwei zentralen Problemlagen, die einander bedingen und verstärken. Zum einen verfügen die meisten Teilnehmenden nur über eine geringe schulische und berufliche Bildung, was sich negativ auf die Chancen einer beruflichen Qualifizierung und auf die Suche nach einem Arbeitsplatz auswirkt. Vielen Teilnehmenden sind grundlegende Lerntechniken nicht vertraut, die in Deutschland für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und in die Aufnahmegesellschaft notwendig sind. Zum anderen bestehen teilweise gesundheitliche Einschränkungen oder psychische Belastungen, die durch traumatische Erlebnisse ausgelöst wurden. Der Lösungsansatz, den Hêvî verfolgt, zielt sowohl auf die Überwindung der langfristigen arbeitsmarktlichen Ausgrenzung als auch auf den Umgang mit Traumatisierungen infolge von Fluchterfahrungen ab.

Die Projektpartner setzen ein umfassendes Unterstützungskonzept für all jene arbeitslosen Migrantinnen und Migranten mit Fluchterfahrungen um, die durch das vorhandene Regelinstrumentarium nicht oder nur unvollständig erreicht werden. Hêvî nutzt hierfür verschiedene Formate: Einzel- und Gruppenberatungen, Einzel- und Familiencoachings, Informations- und Bildungsveranstaltungen, Messen, Veranstaltungen zu den Themen Gesundheit, Familie, Arbeitsmarkt, Erziehung etc. Die dabei gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse werden auf kommunaler Ebene bewertet und allen Jobcentern zur Verfügung gestellt.

Die Steuerung des Gesamtprojektes erfolgt durch den Steuerkreis, der sich zusammensetzt aus Vertreterinnen und Vertretern der Projektpartner und der Projektleitung. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten innerhalb des Mitarbeiterkreises fünfmal im Jahr an den gemeinsamen Prozessen und an der Weiterentwicklung des Projektansatzes.
Jeweils zum Ende der Teilnahme an einem Hêvî-Teilprojekt findet ein gemeinsames Auswertungsgespräch zwischen der Kundin oder dem Kunden, der Integrationsfachkraft des Jobcenters und der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter des Teilprojektes statt. Anschließend wird die Eingliederungsplanung fortgeschrieben.

Erfolgreich ist das Modellprojekt dann, wenn es gelingt, so viele Teilnehmende wie möglich in eine qualifizierte Tätigkeit zu integrieren und damit Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten, der ein höheres und dauerhaftes Einkommen verspricht. Qualifizierte Tätigkeit bedeutet bei der schwierigen Ausgangslage bereits eine Beschäftigung als LKW-Fahrer, Schweißer, Küchenkraft, Fachkraft im Sicherheitsgewerbe oder Fachhelfer im Reinigungsgewerbe. Denn vor Projektbeginn gelang es nur selten jemandem aus der Zielgruppe, eine Fort- und Weiterbildung abzuschließen. Zumeist werden Tätigkeiten auf unterstem Helferniveau aufgenommen. Dabei handelt es sich in den seltensten Fällen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen.