In Sankt Augustin bei Bonn wird bald eine Hülle mit Leben gefüllt. Arbeiter*innen entkernen ein altes Gebäude. Drinnen soll dann eines der modernesten deutschen Jobcenter einziehen. Die künftige Geschäftsstelle des Jobcenters Rhein-Sieg bringt nicht nur den Leistungsberechtigten Neues, sie wird auch den Alltag der Mitarbeitenden verändern.
Für die 70 Beschäftigten wird es keine eigenen Schreibtische mehr geben – und insgesamt weniger als 70 Plätze im Haus. Die Geschäftsführung rechnet mit einer hohen Homeoffice-Quote und unterstützt dies mit einer umfassenden Dienstvereinbarung. „Wir sind auf einem klaren Digitalisierungspfad – und dazu gehört für mich auch die Flexibilisierung der Arbeit“, sagt Geschäftsführer Ralf Holtkötter. So geht er mit seinem Team vor:
1. Neues Arbeiten
Schon 2012 schloss das Jobcenter eine Dienstvereinbarung zur Telearbeit. Fast zehn Jahre später bekommt das Dokument eine Nachfolgerin: Alle Beschäftigten sollen künftig zu 50 Prozent von zu Hause arbeiten können. Die neue Regelung wird auch für Mitarbeitende mit regelmäßigem Kontakt zu Leistungsberechtigten gelten. „Wir gehen keine kleinen Schritte, sondern machen einen Sprung“, sagt Holtkötter. Die vergangenen Monate hätten bewiesen, dass es möglich ist. „Während der Pandemie haben sich Vorurteile überholt: Wir hatten zeitweise die Hälfte der Mitarbeitenden im Homeoffice. Unsere Leistung hat das nicht verändert.“
Diese Haltung teilte schließlich auch der Personalrat. Der Vorsitzende Sebastian Koch erzählt, dass einige Mitglieder dem Vorschlag zunächst skeptisch gegenüberstanden: „Sie haben dann aber auch gesehen, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen flexibleres Arbeiten wünschen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich nach Corona die Uhr zurückdreht.“ Die neue Vereinbarung entstand selbst teilweise im Homeoffice. Nach vier Skype-Konferenzen unterzeichneten die Beteiligten sie digital.
2. Neue Räume
Schon lange steht fest: Die Geschäftsstelle Sankt Augustin wird umziehen. Parallel wuchs der Plan, die Zahl der Schreibtische zu reduzieren. „Schon vor der Pandemie stand 20 Prozent der Bürofläche leer. Es ist immer jemand im Urlaub, krank oder arbeitet zu Hause“, sagt Holtkötter. Sebastian Koch zählte einmal genau mit: Die 21 Kolleg*innen seines Leistungsteams waren innerhalb eines Jahres nur an vier Tagen gleichzeitig anwesend.
Teamleiterin Annalena Panthel, sonst in der Arbeitsvermittlung, schaute sich bereits 2019 mit einem Arbeitskreis die modernen Raumkonzepte in anderen Behörden und Unternehmen an. Daraus entwickelte sich – zusammen mit Architekt*innen und Designer*innen – ein eigenes Konzept:
• Im künftigen Jobcenter wird nur das Erdgeschoss für Vor-Ort-Beratungen mit Leistungsberechtigten genutzt. Große Wartebereiche gibt es nicht, weil alle Menschen terminiert ins Haus kommen. Die Fachkräfte reservieren vorab eines der Beratungsbüros.
• Ein Empfang begrüßt die Besucher*innen. In einem Self-Service-Bereich können sie die Online-Angebote des Jobcenters nutzen.
• In den einzelnen Etagen gibt es keinen Publikumsverkehr. Es gibt aber auch keine festen Büros. Mitarbeitende buchen sich selbst über ein Online-Tool Gruppenarbeitsplätze ebenso wie „Fokusräume“, in denen still gearbeitet wird. Flexible Wände sollen Schall dämmen.
• Statt kleinen Teeküchen gibt es großzügige „Kommunikationsräume“. Diese Flächen sollen Kolleg*innen etwa zum gemeinsamen Mittagessen einladen.
„Wir sparen zwar Platz durch weniger Schreibtische, es wird aber viel größere Sozialräume und Küchen geben“, erläutert Panthel. „Was es sicher nicht geben wird, ist ein Großraum mit vielen kleinen Boxen.“ Die Konzeptionierung ist nicht abgeschlossen – es tauchen immer neue Fragen auf. Koch ist inzwischen Leiter eines neu geschaffenen Projektbüros, das Wünsche und Fragen aller Kolleg*innen zur neuen Arbeitsform annimmt. Das Team richtet auch ein Musterbüro ein. Möglichst viele Mitarbeitende sollen Feedback geben. „Wir wollen Vorbehalte abbauen“, sagt Koch.
3. Neue Verantwortung
Und tatsächlich freuen sich nicht alle Mitarbeitenden auf die Veränderungen. Für Homeoffice seien viele offen gewesen, für flexible Büroarbeitsplätze nicht, sagt Koch, der seit 20 Jahren in der öffentlichen Verwaltung arbeitet. „Bisher ist das mir zugeteilte Büro meine Arbeitswirklichkeit. Einzelbüro oder nicht – da geht es auch um Status.“
Das Jobcenter Rhein-Sieg gewährt Mitarbeitenden schon seit längerer Zeit viel Eigenverantwortung. „Jeder kann sich seinen eigenen Arbeitsplatz einrichten“, erläutert Jens-Holger Feldmann, der Leiter der internen Dienste. Alle Mitarbeitenden sollen Pauschalen bekommen und damit auch ihren Homeoffice-Arbeitsplatz ausrüsten können. Eine höhere Pauschale soll es geben, wenn sie private Geräte einsetzen, etwa Computer oder Monitore. Viele kombinierten private und dienstliche Geräte, sagt Feldmann. Der Zugriff erfolge stets gesichert über Citrix, das einen virtuellen Desktop erstellt, getrennt von allen privaten Daten.
Die Eigenverantwortung wächst jedoch. Im Homeoffice-Zeitalter sind Mitarbeitende angehalten, sich selbst zu organisieren. „Führungskräfte müssen ein Auge darauf haben, ob das bei jedem funktioniert“, sagt Feldmann. Da sich der Server nie abschaltet, können Eltern zu Hause weiterarbeiten, wenn die Kinder schlafen. Aber ist das auf Dauer gesund? „Wir können im System ja sehen, wann jemand etwas bearbeitet hat. Führungskräfte sollten sich das anschauen und Mitarbeitende ansprechen, die regelmäßig spätabends noch vor dem Bildschirm sitzen.“
Mit der geplanten Homeoffice-Vereinbarung und dem Standort-Neubau schafft das Jobcenter eine Blaupause. Weitere Veränderungen stehen schon bevor: Ende 2023 zieht die Zentrale des Jobcenters von einem separaten Standort in Sankt Augustin in einen Neubau nach Troisdorf. Geschäftsführer Holtkötter kündigt schon an: „Mein Schreibtisch wird nicht mit umziehen.“