Rund 210 Fachleute aus den Bereichen Arbeit, Soziales und Integration diskutierten an beiden Tagen über die Zukunft der Jobcenter im zweiten Jahrzehnt ihres Bestehens. Schwerpunktthema war die digitale Transformation und den damit verbundenen Entwicklungen. Neben Fachvorträgen und Gesprächen im Plenum gab es sechs Themenforen, in denen sich die Teilnehmenden vertieft zu konkreten Fragen der Jobcenterpraxis austauschten. Dr. Stefan Groth, Mitarbeiter der Servicestelle SGB II, und Claudia Czernohorsky-Grüneberg, Vorsitzende des bp:k e. V., moderierten die Tagung gemeinsam.
Einführung und Grußworte
Einführende Worte zu der zweitägigen Veranstaltung sprachen Kristin Degener, Vorstandsvorsitzende des Jobcenters Wuppertal und Carl Philipp Schöpe, Vorsitzender des bp:k e. V. und Geschäftsführer des Jobcenters Mannheim. „Der Krisenmodus ist zur Normalität geworden und ein gutes Krisenmanagement braucht gute Rahmbedingungen. Die Umsetzung des SGB II ist kein Selbstläufer. Wir brauchen neue Impulse. Mit dieser Tagung möchten wir Ihnen Raum geben für den Austausch und für neue innovative Ansätze“, sagte Degener. „Das Jahr 2025 wird herausfordernd“, prognostizierte auch Schöpe. Die Jobcenter stünden personell und finanziell unter Druck, hinzu käme der Transformationsdruck und die Digitalisierung des SGB II. Beide Entwicklungen seien wichtig und müssen voranschreiten.
Während der gesamten Tagung schilderten die Teilnehmenden ihre Sicht auf die Herausforderungen der Weiterentwicklung der Arbeits- und Sozialverwaltung sowohl für die Jobcenter als auch die Leistungsberechtigten.
Fachvorträge
Verschiedene Referentinnen und Referenten teilten an beiden Tagen ihre zentralen Erkenntnisse zur Entwicklung der Arbeits- und Sozialverwaltung mit den Teilnehmenden.
Dr. Björn Harich, Richter am Bundessozialgericht und zuständig für die Grundsicherung für Arbeitsuchende und den Kinderzuschlag, referierte über die Entwicklung des SGB II von der Hartz-IV-Reform zum Bürgergeld. In seinem Vortrag stellte Harich vor allem die zahlreichen Änderungen in den vergangenen zwanzig Jahren heraus, welche die Jobcenter vor Herausforderungen stellten. Gleichzeitig habe sich das SGB II angesichts von Inflation, Flüchtlingskrisen und Pandemie jedoch als krisenfestes Instrument der staatlichen Existenzsicherung bewiesen.
Julius Sicken und Maximilian Nagel, Manager bei Deloitte Consulting GmbH im Bereich Government und Public Services, unterstützen Einrichtungen aus dem öffentlichen Sektor bei der Digitalisierung und Einführung innovativer Technologien. Sie zeigten Wege auf, wie eine Sozialleistungsverwaltung funktional und leistungsfähig bleiben kann, indem sie mehr Prozesse automatisiert. Sie plädierten dafür, Automatisierungshindernisse abzuschaffen und offen über eine Reform der Organisationsstrukturen zu debattieren. Würde Rechtsgrundlagen hin zu einem einfachen und digitaltauglichen Recht geändert werden, könnten Grundlagen geschaffen werden, um verschiedene Sozialleistungen zusammenzuführen und dadurch Verwaltungsabläufe zu automatisieren, so ihr Credo.
Dr. Jens Hildebrandt, Fachbereichsleiter Arbeit und Soziales der Stadt Mannheim, widmete seinen Vortrag dem Thema Digitalisierung und sprach sich für dessen Dezentralisierung aus. Hildebrandt verwies auf die Eigenkompetenzen der Kommunen und forderte ein Umdenken hin zu mehr digitaler Souveränität. Die Digitalisierung fände noch immer im Blindflug statt und müsse stärker von evidenzbasierten Diskussionen um die besten Lösungen für die Menschen getrieben werden. Dann schaffe die Digitalisierung Freiräume für mehr Fallmanagement.
Anschließend tauschten sich die Teilnehmenden in sechs thematischen Foren zu den verschiedenen Aspekten der Arbeits- und Sozialverwaltung aus. Es ging dabei um Videoberatung in der Praxis, Datenschutz in den Jobcentern, Chancen und Risiken der Digitalen Transformation für vulnerable Gruppen, das Jobcenter als Sozialplattform, die motivierende Gesprächsführung in der SGB II-Beratung und das Jobcenter als Sozialverwaltung der Zukunft.
Am Folgetag referierten Dominik Schad, Kreisdirektor des Kreises Recklinghausen sowie Dr. Sarah Bernhard, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB).
Schad stellte im Auftrag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die Erfahrungsbilanz zum Bürgergeld vor. Ein Jahr nach dessen Einführung befragte das DIW Mitarbeitende aus sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen zu ihrer Einschätzung. Hierbei stellte sich heraus, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden das Bürgergeld-Gesetz skeptisch betrachteten. Insbesondere die höheren Regelbedarfe und die neuen Leistungsminderungen bewerteten viele negativ. Die Einführung der Bagatellgrenze und die verbesserte Betreuung langzeitarbeitsloser Menschen betrachteten die Befragten hingegen als vielversprechend.
Bernhard vom IAB präsentierte sowohl die Ergebnisse der seit August 2023 durchgeführten Bevölkerungsbefragung „Online-Personenbefragung Arbeiten und Leben in Deutschland“ (OPAL) als auch der „Online-Jobcenter-Befragung“ (OnJob), die seit 2024 jeweils im Frühling stattfindet. Im Rahmen der Bevölkerungsbefragung befragte das IAB 4.814 Leistungsbeziehende ohne Beschäftigung und 10.969 Beschäftigte ohne Sozialleistungsbezug. Für die Jobcenter-Befragung wurden rund 3.100 Interviews mit Mitarbeitenden aus 360 Jobcentern geführt. Zu den Erkenntnissen der Befragungen zählten laut Bernhard unter anderem, dass Führungskräfte in den Jobcentern die Bürokratie als das stärkste Hemmnis für eine gute Beratung einstufen. Die einzelnen Elemente des Bürgergeldes wurden von den Mitarbeitenden sehr unterschiedlich bewertet: Die Führungskräfte bewerteten Elemente, wie den Job-Turbo besser als die Arbeitsebene. Laut Bernhard könne das daran liegen, dass die Führungskräfte sich in der Regel besser mitgenommen fühlen. Auf Seiten der Leistungsbeziehenden stellte das Team um Bernhard fest, dass unabhängig vom Erwerbsstatus eine große Angst vor Kürzungen des Bürgergeldes besteht.
Abschlusspanel
In der abschließenden Podiumsdiskussion hatten das Publikum die Gelegenheit Fragen zu den Fachvorträgen zu stellen, aber auch ihre Wünsche an die Politik zu äußern. Sabine Loss, Geschäftsführerin des kommunalen Jobcenters Lahn-Dill, moderierte die Podiumsdiskussion mit Silvia Kimpel, Leiterin der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis (KAO), Dr. Sarah Bernhard vom IAB, Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenters Duisburg und Andrea Henze, Stadträtin Gelsenkirchen.
Im Publikum wurde unter anderem die Forderung nach einer ernsteren und realistischeren Wahrnehmung der Jobcenter in der Öffentlichkeit laut und damit verbunden der allgemeine Wunsch nach mehr Wertschätzung, Besonnenheit und Verlässlichkeit. Darüber hinaus brauche es sinnvolle Maßnahmen unter Rücksichtnahme der Struktur der Leistungsbeziehenden und ein auskömmlicheres Verwaltungskostenbudget.
Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenters Duisburg, bezeichnete es als „fatal”, wie die Politik zu ihren Entscheidungen komme und bei steigendem Finanzbedarf den Umweg über das Verwaltungskostenbudget suche. Dieses Vorgehen zwinge die Jobcenter dazu den Umschichtungsbetrag zu erhöhen. Die Führungsebene trüge dafür die Konsequenzen, indem sie beweisen müsse, wie sie finanziell ausgestattet sind.
Der „Reformschlingerkurs” sei gefährlich, sagt auch Dr. Sarah Bernhard. Dennoch spüre sie eine hohe Reformoffenheit und hofft, dass das IAB mit seiner Arbeit ein Sprachrohr der Jobcenter in die Politik ist.
Abschluss-Statement
Die sechs Foren ermöglichten den Teilnehmenden einen Perspektivwechsel und führten zu sehr ergiebigen Diskussionen. Kristin Degener und Carl Philipp Schöpe fassten in ihrem Abschluss-Statement die Forderungen aus den Jobcentern folgendermaßen zusammen:
- Jobcenter brauchen stabile Strukturen und eine auskömmliche Finanzierung.
- Die Mitarbeitenden in den Jobcentern brauchen einfache Instrumente und Regelung, damit sie wirken.
- Die Mitarbeitenden wünschen sich eine zielgerichtete Digitalisierung, damit Prozesse vereinfacht werden und mehr Zeit für die Arbeit mit den Menschen bleibt.
- Zugleich braucht es den Rückhalt aus Politik und Gesellschaft, damit die Arbeit der Jobcenter Früchte tragen kann.
„Mut, Optimismus, Selbstbewusstsein, und ein Jahr ohne große Veränderungen“, wünscht sich die Vorstandsvorsitzende des Jobcenters Wuppertal Degener. Und Schöpe resümiert: „Der Druck der Jobcenter ist real und dieser wird sich auch nicht sofort auflösen. Er ist eine Konstante im SGB II und lastet auch auf denen, die mit dem System arbeiten.“ Schöpe erinnerte daran, dass Jobcenter-Führungen den Einschätzungen ihrer eigenen Häuser vertrauen sollten. „Sich herausnehmen in der operativen Führung und von oben drauf schauen – das ist auch das, was wir mit dieser Tagung bezwecken wollten.“
Eine ausführliche Dokumentation der Tagung finden Sie auf der Internetseite des Vereins bp:k.
Moderatorin Claudia Czernohorsky-Grüneberg, Vorstand des bp:k e. V., stellte das Programm der zweitägigen Veranstaltung vor.
Moderator Dr. Stefan Groth, Mitarbeiter der Servicestelle SGB II, präsentierte die Servicestelle und dessen Angebote.
Kristin Degener, Vorstandsvorsitzende des Jobcenters Wuppertal, eröffnet die Tagung.
Carl Philipp Schöpe, Vorsitzender des bp:K e. V. und Geschäftsführer des Jobcenters Mannheim dankte dem Vorstand des bp:k e. V. für die Organisation der Tagungsreihe.
Dr. Björn Harich, Richter am Bundessozialgericht, sprach über die Fortentwicklung des SGB II durch Änderungsgesetze und die umfangreiche Rechtsprechung.
Maximilian Nagel und Julius Sicken, Manager bei Deloitte Consulting GmbH, erläuterten, welche Schritte notwendig sind auf dem Weg zu einer zukunftsfesten Sozialleistungsverwaltung.
Dr. Jens Hildebrandt, Fachbereichsleiter Arbeit und Soziales Stadt Mannheim, sprach über die Chancen der digitalen Fallberatung.
In den sechs Foren tauschten sich die Teilnehmenden vertieft zu konkreten Fragen der Jobcenterpraxis aus.
Dominik Schad, Kreisdirektor Kreis Recklinghausen, sprach über die Entwicklungen des Bürgergeldes.
Dr. Sarah Bernhard, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB, präsentierte den Teilnehmenden Ergebnisse aus der ersten Befragungswelle zur Bürgergeld-Evaluation.
v.l.n.r. Bei der Podiumsdiskussion saßen im Plenum: Sabine Loss, Geschäftsführerin des Jobcenters Lahn-Dill, Silvia Kimpel, Leiterin der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis (KAO), Dr. Sarah Bernhard vom IAB, Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenters Duisburg und Andrea Henze, Stadträtin Gelsenkirchen. v.l.n.r. Bei der Podiumsdiskussion saßen im Plenum: Sabine Loss, Geschäftsführerin des Jobcenters Lahn-Dill, Silvia Kimpel, Leiterin der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis (KAO), Dr. Sarah Bernhard vom IAB, Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenters Duisburg und Andrea Henze, Stadträtin Gelsenkirchen.
Carl Philipp Schöpe, Vorsitzender des bp:K e. V. und Geschäftsführer des Jobcenters Mannheim, und Kristin Degener, Vorstandsvorsitzende des Jobcenters Wuppertal, bedankten sich für die rege Teilnahme und äußerten ihre Wünsche für die Zukunft der Jobcenter.
Das Publikum applaudierte nach zwei gelungen Veranstaltungstagen.
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