Ungewöhnliche Zeiten führen zu außergewöhnlichen Situationen. Das dachten sich vielleicht auch die Besucherinnen und Besucher der Netzwerke-ABC-Konferenz am 12. und 13. Oktober 2022 in Berlin. Am ersten Konferenztag waren sie eingeladen zu einer entspannenden Yoga-Stunde. Und das an einem besonderen Ort: In einem Innenhof des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). In genau diesem Ministerium ist ein Gesetzentwurf entstanden, der alle Teilnehmenden bewegt – und im Arbeitsalltag stellenweise stresst: das Bürgergeld.
Tempo und Stress in den Jobcentern sind hoch. Das erkannte auch Dr. Klaus Bermig an, Leiter der Unterabteilung „Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende“. In seiner Begrüßung erinnerte er an die aktuellen Herausforderungen: die Versorgung der Ukraine-Geflüchteten, die hohen Energiepreise und daraus resultierende finanzielle Engpässe bei vielen Menschen. „Jetzt kommen die auch noch mit dem Bürgergeld – muss das sein?“, fragte Dr. Bermig in die Runde und beantwortete die Frage selbst: „Ein klares Ja.“
Moderatorin Katrin Seifarth diskutierte mit den Geschäftsführenden Dr. Regine Schmalhorst (Dortmund) und Rainer Radloff (Bielefeld) sowie mit Melina Bahlke (Berlin Lichtenberg, zur Zeit im BMAS tätig)..
Jobcenter-Mitarbeitende aus ganz Deutschland kamen zur Veranstaltung....
…und beteiligten sich digital sowie….
…im ganz analogen Vor-Ort-Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen..
Dr. Klaus Bermig aus dem BMAS informierte die Teilnehmenden aus erster Hand über die Gesetzgebung zum Bürgergeld..
Geschäftsführende und Mitarbeitende brachten viele Fragen mit nach Berlin..
Dr. Marie-Claire Senden aus dem BMAS nahm sich Zeit für die Bürgergeld-Fragen der Teilnehmenden..
Das Interesse am persönlichen Austausch war groß..
Besonders intensiv wurde in Workshops diskutiert..
Was bedeutet Selbstreflexion? Robert Pietsch notiert Gedanken der Teilnehmenden..
Bei Friederike Sandow und Nicholas Czichi-Welzer landeten viele Gedankenzettel am Flipchart..
Die Themen in den Workshops unter anderen: Selbstmotivation, Reflexion, Achtsamkeit sowie….
…Authentizität in der Beratung und Fehlerkultur..
Teilnehmende, hier Sabine Molz aus dem Jobcenter Landkreis Neumarkt, diskutierten dies vor allem im Hinblick auf die Bürgergeld-Reform..
Reflektion in Aktion: Christoph Kretschmer aus dem kommunalen Jobcenter Landkreis Mayen-Koblenz im Workshop..
Gabriele Engelhaupt aus dem Wartburgkreis diskutiert hier mit einem Kollegen..
Bei Yoga-Übungen zwischendurch kamen einige wieder zu Kräften – und neuen Ideen..
Dass eine Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende notwendig ist, dürfte Konsens sein unter den rund 100 Teilnehmenden aus diversen Jobcentern. Auch in einer späteren Fragerunde mit Dr. Marie-Claire Senden, Leiterin des Referats „Grundsatzfragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ im BMAS, ging es nicht um das „Ob“, sondern stets um das „Wie“. Diese Wie-Frage war auch unter den Praktikerinnen und Praktikern das große Gesprächsthema. Wir haben deshalb sieben von ihnen konkret befragt.
Wie bereiten Sie sich in Ihrem Jobcenter auf das Bürgergeld vor?
Daniela Meyer, Bereichsleiterin im Jobcenter Landkreis Nienburg:
Informationen suchen, Stimmen sammeln – das beschreibt unsere Arbeit zum Bürgergeld momentan wohl am besten. Und wenn wir genug wissen, planen wir kurzfristig eine Veranstaltung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So hat es bereits das Jobcenter Bremen gemacht, wie ich auf sgb2.info gelesen habe. Die Bremer waren früh dran, das hat mich erstaunt. Ich konnte mit dem Kollegen aus Bremen sehr wertvolle Gespräche über die Erfahrungen hier bei der Konferenz führen. Insgesamt sind wir aber nicht verunsichert. Das Bürgergeld ist eine große Reform, natürlich. Aber wir im Jobcenter sind Veränderungen gewöhnt, Jahr für Jahr. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch diese Veränderung gemeinsam gut schaffen!
Thomas Brincker, Geschäftsführer des Jobcenters Potsdam:
Bislang habe ich vor allem mit meinen Führungskräften auf die Entwürfe zum Bürgergeld-Gesetz geschaut. Für Gespräche mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind mir aktuell noch zu viele Fragen offen. Wir dürfen dabei insbesondere die Fragen aus den Leistungsbereichen nicht unterschätzen. Wir sprechen beim Bürgergeld häufig eher über Qualifizierung und Beratung. Aber die Leistungsberechtigten brauchen als erstes ihr Geld, damit sie den Kopf frei haben. Denn schließlich sind es die Mitarbeitenden in den Leistungsbereichen, die dafür sorgen. Wir müssen Anfang Januar die Leistung auszahlen! Deshalb will ich jetzt vor allem eng mit meinen Leistungsbereichen arbeiten, um das Bürgergeld erfolgreich umzusetzen.
Jörg Homann, Arbeitsvermittler im Jobcenter Wilhelmshaven:
Wir haben schon einen Teamworkshop gemacht, als der Referentenentwurf vorlag. Bei uns wird sehr viel über das Bürgergeld diskutiert. Aber uns fehlt noch etwas Greifbares. Das Gesetz ist noch nicht fertig. Und dann frage ich mich: Wie können wir das in der Kürze der Zeit umsetzen? Ich persönlich bin nach dem heutigen Tag etwas erleichtert. Vieles, was meine Arbeit betrifft, kommt erst zum 1. Juli 2023. Aber in unserer Leistungsabteilung gibt es Befürchtungen. Wir können die Leistungen doch erst anpassen, wenn das Gesetz fertig und veröffentlicht ist. Aber wann wird das sein? Parallel erwarten wir gerade noch einmal weitere Ukrainerinnen und Ukrainer, die sofort Geld, Wohnung und Ausstattung brauchen.
Christian Meier, Geschäftsführer des Jobcenters Landkreis Regensburg:
Wir werden die Bürgergeld-Reform schaffen, wenn wir maximale Transparenz herstellen. Deshalb bereiten wir gerade Workshops vor, in denen wir alles besprechen wollen, was wir wissen und was uns bewegt. Ich muss die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür aus dem Alltag rausnehmen, damit sie sich voll darauf konzentrieren können. Aber das ist insbesondere jetzt schwierig. Denn wir haben durch die Ukrainerinnen und Ukrainer 35 Prozent mehr Leistungsberechtigte, aber nicht mehr Personal.
Sophie Skobel, Teamleiterin Leistung im Jobcenter Wartburgkreis:
Die Kolleginnen und Kollegen haben viele Fragen. Bei uns im Leistungsbereich kommen viele Änderungen schon zum 1. Januar. Dieser Zeitdruck ist enorm. Der Gesetzentwurf zum Bürgergeld wird sich vielleicht noch ändern. Niemand weiß heute, wann das Gesetz fertig ist und wie viele Tage bis zum Jahresende bleiben. Deshalb sitzen wir auch heute schon zusammen und erarbeiten miteinander, was wir wissen und was das für uns wahrscheinlich bedeuten wird.
Ulrich Nehring, Geschäftsführer des Jobcenters Hildesheim:
Ich sage zu meinen Leuten immer: Lasst euch nicht busich machen! So sagt man das bei uns – es bedeutet: lasst euch nicht verunsichern. Damit das nicht passiert, habe ich schon viel ins Jobcenter hinein kommuniziert. Ich habe ein Interview in unserer Mitarbeiterzeitschrift gegeben und versucht, darin alles zu erzählen, was ich weiß und was ich eben noch nicht weiß. Außerdem nehme ich immer wieder kurze Videos auf und verschicke sie an alle. Dort versuche ich die Dinge herunterzubrechen. Vieles aus dem Gesetzentwurf zum Bürgergeld ist doch bei uns schon gelebte Praxis. Dennoch fragen wir uns alle: Warum muss die Reform jetzt sein? Es kommen noch mehr Ukrainerinnen und Ukrainer. Kommunalseitig ist jede vierte Stelle bei uns unbesetzt. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Aber wir lassen uns nicht busich machen.
Steffen Rocktäschel, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Saalfeld-Rudolstadt:
Ich will ehrlich sein: Es gibt große Verunsicherung in meinem Jobcenter. Durch die Ukraine-Geflüchteten ist der Ausländeranteil unter den Leistungsberechtigten von 5 auf 20 Prozent gewachsen. Das bedeutet große interne Veränderung. Und viele sagen: Wenn jetzt das Bürgergeld kommt, ändert sich nochmal alles. Viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lesen in den Medien, was über das Bürgergeld geschrieben wird. Vieles wird dort verkürzt dargestellt. Das wiederum führt zu mehr Verunsicherung, auch bei den Leistungsberechtigten, die mit ihren Rückfragen zu uns kommen. Ich wünsche mir hier, dass die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesarbeitsministerium es frühzeitig richtigstellen. Durch die Reform wird wieder mehr über Jobcenter berichtet. Und es macht viele Mitarbeitende traurig, dass es schon wieder heißt: Ach ja, die bösen Jobcenter.
Um das Bürgergeld ging es auch bei der Konferenz der Netzwerke ABC in Stuttgart, über die wir hier berichten. Ausführliche Informationen zum Bürgergeld finden Sie zudem auf unserer Themenseite.