Warum sind Sie Digi-Scout geworden und was machen Sie dabei?
Michael Büchler: Ich habe zwanzigjährige Erfahrung im SGB II und SGB III-Bereich und habe auch schon als Dozent und als Coach im Informatik-Bereich gearbeitet. Außerdem kenne ich die Zielgruppe und wusste, was auf mich zukommt. Als Digi-Scout betreue ich nun seit einem Jahr täglich sehr viele unterschiedliche Fälle, was die Arbeit durchaus interessant macht. Zu meinen Aufgaben gehört die digitale Unterstützung der Menschen von Beginn an. Wenn sie sich für ein Konto bei Jobcenter-digital registrieren oder auch schon, wenn sie Probleme mit dem Login haben. Wir unterstützen das Ganze in Kooperation mit dem Jobcenter. Das heißt, wir selbst haben keine Zugriffe auf die internen Systeme und sind darauf angewiesen mit der Eingangszone zusammenzuarbeiten. Konkret geht es bei den meisten Fällen um den Antrag auf Bürgergeld, also die komplette Antragstellung oder Weiterbewilligung. Das macht so 80 bis 90 Prozent meiner Tätigkeit aus.
Welche Idee steht hinter dem Projekt „Digi-Scouts“?
Michael Büchler: Das Projekt richtet sich an Menschen, die Bürgergeld beantragen wollen und Leistungsbeziehende des Jobcenters. Generell wollen wir digitale Kompetenz fördern. Die meisten Menschen besitzen zumindest ein Smartphone. Theoretisch kann ein kompletter Antrag auf Bürgergeld auf dem Smartphone ausgefüllt werden. Wir nutzen aber auch Computer oder Tablets. Die Idee und das Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, selbstständig die digitalen Services des Jobcenters zu nutzen.
Wie viele Digi-Scouts setzt Ihr Jobcenter derzeit ein?
Michael Büchler: In unserem Jobcenter gibt es momentan zwei Digi-Scouts, die jeweils zu 50 Prozent eingesetzt werden. Im Prinzip füllen wir also eine Vollzeitstelle, die vom Land Rheinland-Pfalz und vom Jobcenter gefördert wird.
Wie nehmen die Menschen Ihr Angebot an?
Michael Büchler: Sehr gut! Da immer mehr Anträge digital gestellt werden sollen und dies auch so kommuniziert wird, entsteht Stück für Stück immer mehr Bedarf, die Leute in diesen Prozessen zu unterstützen. Es gibt Menschen, denen muss ich nur bei der Freischaltung helfen und die können dann eigenständig weitermachen. Dann gibt es andere, die unterstützen wir im kompletten Antragsprozess. Wenn wir das einmal mit ihnen gemeinsam durchgegangen sind, haben sie die Möglichkeit, das in Zukunft auch selbst zu machen. Insgesamt ist die Nachfrage hoch und steigt stetig.
Wie läuft ein Beratungsprozess als Digi-Scout bei Ihnen ab?
Michael Büchler: Es gibt unterschiedliche Zugangspunkte. Einmal gibt es die Option, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters uns direkt anfordern. Wenn sie in ihrer täglichen Arbeit bemerken, dass Menschen digitale Unterstützung benötigen, dann können sie direkt bei uns einen Termin buchen. Es passiert aber auch, dass Leistungsbeziehende uns direkt kontaktieren und wir machen dann die Termine mit ihnen aus. Bei dem Termin wird erstmal grundlegend die Situation analysiert. Es wird geschaut: Was ist das Anliegen? Warum kommt die Person zu uns? Und dann erfolgt die jeweilige Unterstützung, also Hilfe bei den Zugangsdaten, Ausfüllen des Bürgergeldantrags oder Einscannen und Hochladen der Dokumente. Es kommt durchaus vor, dass Personen mehrmals zu uns kommen, zum Beispiel weil sie beim ersten Mal nicht alle Dokumente dabeihaben.
Gibt es eine Erfolgsgeschichte, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Michael Büchler: Ja, ich erinnere mich an einen Fall besonders. Es war eine Frau, die sehr aufgelöst war und nicht wusste, was sie machen sollte, und sagte, sie hatte gar keine Ahnung. Sie wollte einen komplexen Antrag auf Bürgergeld stellen mit vielen Belegen, die sie vorlegen musste. Wir haben das dann gemeinsam begonnen. Später hat sie die Unterlagen zum Großteil selbst bearbeitet und auch hochgeladen, das konnte sie relativ schnell umsetzen. Sie kam später nochmal beim Weiterbewilligungsantrag, weil sie den noch nicht gemacht hatte. Da habe ich gesehen, dass sie schon enorm viel gelernt hatte und viel eigenständiger war. Es ist ein gutes Gefühl, weil ich sehe, dass es was bringt. Generell ist die Dankbarkeit der Leute enorm. Sie kommen freiwillig zu uns, sind oft in persönlich sehr schwierigen Situationen und super froh, wenn wir sie unterstützen.
Welchen Herausforderungen begegnen Sie als Digi-Scout?
Michael Büchler: Herausfordernd sind manche Lebenssituationen der Menschen, zum Beispiel, wenn es um Obdachlosigkeit geht. Es gibt Leute, die man erst mal ein bisschen auffangen muss und da braucht es viel Empathie von unserer Seite aus. Um das dementsprechend machen zu können, ist es wichtig, dass wir die Menschen ernst nehmen und Ratschläge geben.
Was sollten Jobcenter beachten, wenn sie Digi-Scouts einsetzen möchten?
Michael Büchler: Die Förderung der digitalen Selbstständigkeit muss im Vordergrund stehen, so dass man den Leuten das so vermittelt und beibringt, dass sie das irgendwann auch eigenständig tun können. Außerdem sollte es Schulungen und Weiterbildungen auf die Mitarbeitenden angepasst geben. Zum Beispiel kann es sein, dass die Mitarbeitenden vielleicht digital sehr fit sind, sich aber nochmal in den Antragsprozess oder das SGB II einarbeiten müssen und lernen, welche Bedeutung die Begriffe innerhalb des Antragsprozesses haben. Auch die Zusammenarbeit innerhalb des Jobcenters sollte gut funktionieren. Der Digi-Scout ist ja nicht außen vor, sondern braucht auch Ansprechpartner zum Beispiel in der Eingangszone. Generell sollten die Scouts technikaffin sein, das heißt selbst mit Smartphones, PCs und Scannern umgehen können. Vom Menschlichen her ist es wichtig, dass Digi-Scouts sehr wertschätzend gegenüber den Personen sind, die kommen, weil bei diesen zum Teil extremer Existenzdruck herrscht. Es ist wichtig, dass man den Antragsstellenden zuhört. Es geht viel darum, Ängste abzubauen, weil auch immer wieder Bedenken da sind, dass Sachen nicht ankommen oder dass sie was falsch machen, beim Antrag gegenüber der alten Papierform. Auch oder gerade, wenn es Leute sind, die noch nie einen Antrag auf Bürgergeld gestellt haben. Sie haben keine Erfahrung und wenn sie das direkt digital machen sollen, kommen oft Bedenken und die kann man abbauen, in dem man es einfach mit den Leuten durchgeht. Dann merken sie, dass es funktioniert und gar nicht so schwer ist.
Hintergrund
Die Digi-Scouts sind direkt bei den Jobcentern angesiedelt. Das Projekt wird gefördert durch das rheinland-pfälzische Arbeitsministerium Es zielt darauf ab, die digitalen Kompetenzen von SGB II-Beziehenden zu verbessern und sie zu befähigen, die Online-Angebote der Jobcenter selbstständig zu nutzen. Dies kann insbesondere die Online-Antragstellung von Bürgergeld, das Einreichen und Hochladen von Dokumenten sowie die Recherche zu möglichen Vermittlungs- und Qualifizierungsangeboten umfassen.
„Grundlegende digitale Kompetenzen sind mittlerweile obligatorisch für eine Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gesellschaft”, betont Dörte Schall, Arbeitsministerin des Landes Rheinland- Pfalz. “Umso wichtiger ist es, dass sich die Menschen im digitalen Raum sicher bewegen sowie die Chancen von digitalen Techniken und Möglichkeiten für sich bestmöglich nutzen können. Genau hier setzen die Digi-Scouts an: In Einzel- oder Gruppencoachings unterstützen die Digi-Scouts Teilnehmende bei der Vermittlung von digitalen Kompetenzen und bauen Ängste im Umgang mit digitalen Medien ab.“
Im Sommer 2023 ins Leben gerufen, startete am 1.1.2025 bereits die zweite Förderrunde mit 24 Digi-Scouts. Das Land stellt aus arbeitsmarktpolitischen Mitteln bis zu 1,6 Millionen Euro für die Umsetzung der aktuellen Projekte zur Verfügung. Kofinanziert werden die jeweiligen Projekte von den regional zuständigen Jobcentern.
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