„Willkommen zu unserem Familientreffen“, begrüßte Frank Junghans, Geschäftsführer des Hanse-Jobcenters Rostock, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die „Familie“, das sind die Geschäftsführenden der insgesamt zehn mecklenburgischen und vorpommerschen Jobcenter. Sie bilden eine Landesarbeitsgemeinschaft. Wenngleich die Atmosphäre gelöst und herzlich war – um einen netten Plausch ging es bei dem Termin in Rostock nicht. Auf der Agenda standen neben internen Angelegenheiten jene Themen, die die Jobcenter im laufenden Jahr bewegt haben und 2023 bewegen werden. Ein Überblick:
Jobcenter diskutieren Zielvereinbarungen für 2023
Die Anzahl Leistungsberechtigter stieg durch die Ukraine-Geflüchteten in vielen Jobcentern merklich an. Mit dem geplanten Bürgergeld erwarten die Geschäftsführenden aus Mecklenburg-Vorpommern einen weiteren Anstieg – in welchem Umfang sei aktuell noch schwer prognostizierbar, lautete der Tenor unisono.
Absehbar sei, dass ein Großteil der neuen Leistungsberechtigten nicht vermittelt werden könne. Die meisten von ihnen würden durch die angepassten Regelsätze und das neue Wohngeld in den Leistungsbezug kommen, seien aber bereits erwerbstätig. Vor diesem Hintergrund wurden die Zielvereinbarungen für das Jahr 2023 als „zu ambitioniert“ und „kaum realisierbar“ beschrieben. In dem Zuge tauchte mehrfach die Frage auf, woher die Erwartungen kämen, diese Integrationsquoten zu erreichen, zumal der Vermittlungsvorrang mit dem geplanten Bürgergeld entfällt.
Geschäftsführende sehen finanzielle Situation mit Sorge
Die Geschäftsführenden besprachen auch die finanzielle Situation in ihren Jobcentern. Das Stimmungsbild war einen Tag vor der Zusammenkunft des Haushaltsausschusses des Bundestags wenig optimistisch: Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln für das kommende Jahr seien zusätzliche Integrationsmaßnahmen und geplante neue Leistungen im Rahmen des Bürgergeldes – etwa ein monatlicher Weiterbildungsbonus – nur mühsam zu stemmen: Die Unterfinanzierung der Verwaltungskostenbudgets in allen Jobcentern führe zu erheblich steigenden Umschichtungsbeträgen. Mehrfach betonten Teilnehmenden, dass das Budget der Jobcenter bundesweit dringend erhöht werden müsse – was der Haushaltsausschuss am 10. November 2022 denn auch beschloss.
Sprachkurse für die Ukraine-Geflüchteten fehlen
Fast sechs Monate nach dem Rechtskreiswechsel ist die Beratung der Ukraine-Geflüchteten eine anhaltende Herausforderung für die Jobcenter in Mecklenburg-Vorpommern. Vom Kommunalen Jobcenter Landkreis Vorpommern-Rügen bis zum Jobcenter Ludwigslust-Parchim war das Stimmungsbild sehr ähnlich: Nicht die Motivation der Geflüchteten, Deutsch zu lernen oder an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen, sei das Problem, sondern die hohe Nachfrage nach Kursen bei gleichzeitig geringem Angebot. „Wir brauchen händeringend Sprachkurse“, lautete der Konsens.
Gunther Gerner, Geschäftsführer des Jobcenters Vorpommern-Greifswald Nord, regte an, übergangsweise auf nicht zertifizierte Lehrkräfte auszuweichen: „Wir finden aktuell nicht ausreichend Dozenten, doch es gibt genügend Menschen, die auch ohne Zertifizierung qualifiziert genug sind, Deutsch zu vermitteln. So könnten wir vorübergehend Belastungsspitzen überbrücken und die Nachfrage abdecken.“ Allerdings müsse die Politik zustimmen. Für seinen Vorstoß bekam Gerner großen Zuspruch.
Einig waren sich die Geschäftsführenden auch in dem Punkt, dass die für die Ukraine-Geflüchteten festgelegten Integrationsquoten im kommenden Jahr ohne genügend Sprachangebote kaum zu erreichen seien. Insgesamt sei die Ukraine-Thematik noch immer von großen Ungewissheiten gekennzeichnet, merkte Martin Greiner, Geschäftsführer des Jobcenters Nordwestmecklenburg, an.
Bürgergeld: Geschäftsführende diskutieren über Umsetzung
Viele offene Fragen bestimmten auch die Diskussionen über das geplante Bürgergeld. „Nicht das Gesetz an sich ist das Problem, sondern die momentane Unsicherheit“, gab Greiner zu bedenken. Die Teilnehmenden tauschten sich unter anderem über folgende Fragen aus:
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Wie lassen sich die Mitarbeitenden in der Eingangszone entlasten, wenn der mit dem Bürgergeld erwartete Anstieg der Leistungsberechtigten eintritt?
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Wie lässt sich das in der Reform vorgesehene Coaching umsetzen – als interne oder externe („eingekaufte“) Leistung? Und welcher Betreuungsschlüssel soll dafür greifen?
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Falls das Gesetz entgegen allen Bestrebungen nicht zum 1. Januar 2023 in Kraft treten sollte – nach welchen Regelungen würden dann Weiterbewilligungsanträge genehmigt, da die Übergangsregelungen zum 31. Dezember 2022 auslaufen?
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Für Unsicherheiten sorgt auch die geplante Vertrauenszeit: Wie sollen die Jobcenter mit Leistungsberechtigten umgehen, die in den ersten sechs Monaten die Zusammenarbeit blockieren? Gäbe es dann schlimmstenfalls sechs Monate Stillstand im Integrationsprozess?
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„Wir wissen nicht, wer bei uns ab nächstem Jahr neu in den Leistungsbezug kommen wird“ – dieses Bedenken wurde wiederholt geäußert.
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Wie kann das erwartete hohe Aufkommen neuer Wohngeldanträge effizient bewältigt werden?
Über diese und weitere Punkte diskutierten die Geschäftsführenden zunächst unter sich und später im Beisein von Sascha Kummer, Mitarbeiter im Referat „Grundsatzfragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Kummer versicherte den Teilnehmenden: „Ich habe absolutes Verständnis für Ihre Situation.“ Ihm sei bewusst, dass der Gesetzgebungsprozess zu Unmut und Verunsicherung in den Jobcentern führe. Kummer sagte: „Derzeit gibt es noch viele offene Flanken. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir am 25. November 2022 ein Gesetz haben werden, das zum 1. Januar 2023 in Kraft treten kann. Daran halten wir fest.“
BMAS und Jobcenter konzipieren Weiterbildungen für Mitarbeitende
„Wir fragen uns derzeit im Ministerium, wie wir effiziente Schulungen gestalten können, um alle Mitarbeitenden zu erreichen, sobald das Gesetz verabschiedet ist“, wandte sich Kummer an die Geschäftsführenden. Diese hatten direkt ein gemeinsames Anliegen: Es bedürfe eines Budgets für Qualifizierungen.
Andreas Böhning, Geschäftsführer im Jobcenter Mecklenburgische Seenplatte Nord, regte zudem einen Wissenstransfer zwischen den Jobcentern in Mecklenburg-Vorpommern an: „Wir haben großartige Mitarbeitende mit vielen unterschiedlichen Kompetenzen. Warum bündeln wir die nicht und organisieren jobcenterübergreifende Schulungen und helfen uns gegenseitig aus?“ Seine Kolleginnen und Kollegen nahmen seinen Vorschlag positiv auf und vereinbarten, innerhalb der Landesarbeitsgemeinschaft Mecklenburg-Vorpommern – ganz im Sinne des Familiengedankens – Ideen und Kompetenzen zu sammeln.
Bleiben Sie beim Bürgergeld auf dem Laufenden – auf unserer Themenseite Bürgergeld. Wie sich andere Jobcenter auf die Reform vorbereiten, lesen Sie in unserem Bericht über die Konferenz der Netzwerke ABC in Berlin.